Auf die Form kommt es an

Picture of Phytoplankton
Photo: © iPhotos: Olenina, Roselli; Graphics: www.achundkrach.de

Neue Studie: Wie Zellgeometrie und Phytoplanktonvielfalt zusammenhängen

Ob ein Organismus sich in seiner Umwelt durchsetzt, hängt stark von seiner Größe und seiner Gestalt ab. Der Physiker Dr. Alexey Ryabov und der Biologe Dr. Onur Kerimoglu, Mitglieder der ICBM-Arbeitsgruppe Mathematische Modellierung unter Leitung von Professor Dr. Bernd Blasius, nutzten in einer internationalen Studie zusammen mit weiteren Kollegen aus Deutschland, Italien, Litauen und den USA den außergewöhnlichen Formenreichtum von Phytoplankton, um den Einfluss entwicklungsgeschichtlicher Bedingungen auf die äußere Form und deren Beziehungen zur Artenvielfalt zu beleuchten. Nachzulesen sind die Ergebnisse der Studie, die kürzlich auch als Editor’s Choice im renommierten Fachmagazin “Science” Erwähnung fand, in der aktuellen Online-Ausgabe des Fachjournals Ecology Letters.

Vielfalt von Körperformen entwickelt sich durch natürliche Auslese. Sie ist eine Antwort auf Umweltbedingungen, Wechselbeziehungen mit anderen Arten und Verfügbarkeit ökologischer Nischen. Gut untersucht sind in diesem Zusammenhang zahlreiche vielzellige Organismen, während man über Einzeller vergleichsweise wenig weiß. Bislang betrachteten Studien zumeist, wie sich einzelne Umweltbedingungen auf die Gestalt auswirken. Viel weniger weiß man über die allgemeine Vielgestaltigkeit der Formen, ihre Verteilung und die Auswirkungen der Körperform auf die systematische Zuordnung sowie den entwicklungsgeschichtlichen Erfolg.

Vor diesem Hintergrund konzentrierten sich Ryabov und Kollegen in ihrer aktuellen Arbeit auf das einzellige Meeresphytoplankton. Auch Vertreter der extrem formenreichen sogenannten Dinoflagellaten bezogen sie in die Studie ein. Mit mehr als 5.700 Zellen aus 402 Gattungen, verteilt auf 16 Stämme, wurde die Formen- und Größenvielfalt einzelligen Phytoplanktons äußerst umfassend untersucht. Die Forschenden wiesen jeder Zellform eine von 38 geometrischen Figuren zu. Besonders ausgefallene Zellgestalten wurden über eine Summe aus Einzelformen abgebildet. Mit standardisierten rechnergestützten Verfahren wurden Zellvolumina und –oberflächen berechnet.

Große Vielfalt an Formen

Vor allem das Phytoplankton mittlerer Größe zeigte sich dabei besonders vielgestaltig, von abgeplatteten bis zu extrem gestreckten Formen. Zellen größerer oder kleinerer Volumina hingegen hatten zumeist eine kompakte, oft kugelige Gestalt. Gleichzeitig waren diese rundlichen Formen höchst variabel im Zellvolumen. Die taxonomische Vielfalt, das heißt, die Anzahl, der Arten, Gattungen und anderer systematischer Einheiten, war am ausgeprägtesten bei kompakten Zellen mittleren Volumens. Je mehr sich die Zelloberfläche bei verschlankten und abgeflachten Formen vergrößerte, umso mehr nahm die Vielfalt ab, und zwar exponentiell. Die Forschenden halten dieses Prinzip mit hoher Wahrscheinlichkeit für universell, da es sich für die zwei verwendeten umfangreichen Datensätze getrennt voneinander nachweisen ließ. Und sie vermuten Oberflächenausdehnung und Zellgröße als wichtige Triebkräfte der Vielfalt.

Für alle Arten, so folgern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter, könnte eine Verringerung der Zellgröße vorteilhaft sein. So würde eine Verkleinerung etwa den Aufwand für die Bildung von Zellwänden verringern und den Organismus weniger anfällig für Räuber machen. Gleichzeitig führt sie zu einer größeren gestaltlichen Vielfalt kompakter Zellen im Vergleich zu gestreckten in jeder Größenklasse. Abweichend fanden die Forschenden für Kieselalgen, dass sowohl kompakte als auch längliche Formen vielgestaltig sein können. Dies führen sie auf die Zellwände aus Kieselsäureanhydrid zurück, die eine größere stammesgeschichtliche Neuerung darstellten, den Kieselalgen ungewöhnlich große Vielgestalt erlaubten und somit zu ihrem ökologischen Erfolg beigetragen haben könnten. „Unsere Studie betont die Bedeutung der geometrischen Form von Zellen für die mikrobielle Artenvielfalt“, so Blasius. Dies eröffne nicht nur einen neuen Zugang für die marine Biodiversitätsforschung sondern könne auch zu einem besseren Verständnis der evolutionären Grundregeln des Lebens beitragen.

Originalveröffentlichung

Alexey Ryabov; Onur Kerimoglu; Elena Litchman; Irina Olenina; Leonilde Roselli; Alberto Basset; Elena Stanca; Bernd Blasius: „Shape matters: the relationship between cell geometry and diversity in phytoplankton“, Ecology Letters, doi: 10.111/ele.13680

Weblinks


•    https://doi.org/10.1111/ele.13680

Dr. Sibet Riexinger

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