Eine Art Magie – die Vielfalt der Nordseefauna durch genetische Spuren im Meerwasser enthüllt

View of Northsee with illustration of DNA
Photo: Bernd Scheuer | Pixabay, ©illustrations: T. Michael Keesey (Asterias ruben, CC-BYA-SA 3.0), James Bernot (Balanus), Guillaume Dera (Pleurobrachia pileus)

Verfügen wir über ausreichende Referenzdaten und die geeigneten Methoden und Techniken, um die Artenvielfalt der Meeresfauna in den dynamischen Gewässern der Nordsee anhand von genetischen Spuren aus dem Meerwasser zu bestimmen? Ziel einer Studie der HIFMB-Fokusgruppe Marine Molekularökologie war es, diese Unsicherheiten zu bewerten und die Methode der Umwelt-DNA (eDNA)-Metabarcodierung für die Überwachung und Fragen des Meeresschutzes in der Nordsee nutzbar zu machen. Ausgerüstet mit Kanistern, Pumpen, Sieben und vielen Filtern haben wir über einen Zeitraum von neun Tagen sowohl die Tiere als auch die eDNA beprobt und analysiert.

Das Verständnis der biologischen Vielfalt der Meere und ihrer Veränderungen durch kumulative Effekte hat in der Meereswissenschaft hohe Priorität. Molekulargenetische Methoden werden zunehmend zur Analyse der taxonomischen Vielfalt der Meeresfauna eingesetzt und ergänzen die klassischen Methoden der Artenbestimmung anhand artspezifischer morphologischer Merkmale. Im Idealfall inspizieren wir die Tiere nicht mehr, sondern identifizieren die Artenvielfalt nicht-invasiv, indem wir ihre genetischen Spuren im Wasser – die eDNA – auf standardisierte Weise analysieren, um Rückschlüsse auf die Artenvielfalt zu ziehen.
Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, inwieweit die Voraussetzungen für ein solches molekulares Monitoring in der Nordsee bereits gegeben sind. Wir überprüften dies mit einer integrativen Studie, die die Modellgruppe Zooplankton morphologisch und mit Metabarcoding identifizierte. Wir validierten die Multi-Spezies-Identifizierung der marinen Metazoen durch einen Vergleich der Ergebnisse und analysierten dann, basierend auf dieser validierten Methodik, die eDNA aus dem Meerwasser für die gesamte Fauna.
Wir wählten Helgoland Roads für die Evaluierung dieser Methode aus, weil die dortige Fauna sehr gut beschrieben ist und es eine solide Basis von Referenzsequenzdaten für diese Fauna in öffentlichen Sequenzdatenbanken gibt.

An neun aufeinanderfolgenden Tagen analysierten wir das Zooplankton aus insgesamt mehr als 120.000 Litern Meerwasser und die eDNA aus 288 Litern der Helgoland Road, um mehr als 10 Mio. Sequenzen für die Meeresfauna zu erhalten. Es ist uns gelungen, die Meeresfauna in ihrer ganzen Komplexität zu identifizieren, insgesamt 354 Arten aus dem Zooplankton, Benthos und Nekton aus 16 Phyla. Davon sind 96 % typische Vertreter für die Nordsee, von denen einige seit 70-120 Jahren nicht mehr dokumentiert wurden. Bei den restlichen 4 % handelt es sich um bereits beschriebene Neozoen, um Arten, die nicht erwartet werden und für die Nordsee noch nicht beschrieben wurden, wie z. B. die Copepodenart Acartia (Acartiura) hudsonica oder um Arten, die aufgrund von Fehlern in Sequenzdatenbankeinträgen falsch identifiziert wurden.

“Ich bin immer noch jedes Mal erstaunt und erleichtert, wenn wir endlich eine solide Artenliste haben, nachdem wir einige Liter Wasser beprobt, im Labor zunächst mit schmutzigen Filtern weitergemacht und dann tagelang winzige Mengen farbloser Flüssigkeiten pipettiert haben.”

Alica Ohnesorge
Molekularökologin und Hauptautorin der Studie

Allein durch hochfrequente eDNA-Probenahmen konnten wir 260 Arten nachweisen. Davon wiesen wir 22 Arten kontinuierlich nach, was auf ihr Vorkommen in großer Zahl und eine ständige Abgabe von genetischem Material in die Wassersäule hindeutet. Im Gegensatz dazu konnten wir ein Drittel der 260 Arten nur auf einem der insgesamt 129 untersuchten Filter identifizieren. Dies zeigt die starke Streuung und die unterschiedlichen Konzentrationen/Verdünnungen des artspezifischen genetischen Materials in dynamischen Gewässern und unterstreicht, wie wichtig die Wiederholung von Wasserproben für die Bewertung der regionalen Biodiversität ist. Die steigende kumulative Artenzahl über den gesamten Probenahmezeitraum, die keine Sättigung erreicht, unterstützt diese Theorie.

Photo: ©HIFMB
Eine CTD hilft bei der Entnahme von Wasserproben aus verschiedenen Tiefen, um die Meeresfauna anhand der eDNA zu identifizieren, wie hier an Bord des RV Heincke in der Nähe eines Offshore-Windparks in der Deutschen Bucht.

Auf der Grundlage unseres integrativen Ansatzes und der vergleichenden Untersuchung verschiedener Filterporengrößen, Replikate, genetischer Marker, taxonomischer Zuordnungen und Sequenzreferenzdatenbanken haben wir eDNA und Zooplankton-Metabarcoding als zuverlässige und empfindliche Werkzeuge zur Identifizierung der Meeresfauna in der Deutschen Bucht verifiziert. Die Ergebnisse dieser Studie sind nun die Grundlage für unsere Anwendung des molekularen Monitorings der Meeresfauna mit gutem Gewissen. In der Nordsee wenden wir diese Protokolle an, um die Artenvielfalt der Meeresfauna in Meeresschutzgebieten (MPAs) sowie zwischen MPAs zu bewerten und zu überwachen, um die Konnektivität von MPAs zu ermitteln. Letzteres ist Teil des CREATE-Projekts im Rahmen der sustainMare-Forschungsmission der Deutschen Meeresforschungsallianz, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Bundesländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern finanziert wird. Im nächsten Jahr werden diese Konnektivitätsstudien durch Biodiversitätsanalysen in Offshore-Windparks ergänzt, um zu unserem Verständnis der Auswirkungen von Offshore-Windparks auf die Biodiversität und die Konnektivität von MPA beizutragen.

“Ich bin mit jedem neuen Datensatz fasziniert, dass der eDNA-Ansatz funktioniert und dass wir die Arten nachweisen, die wir bei herkömmlichen Probenahmen mit Netzen, Greifern und Schleppnetzen finden.”

Silke Laakmann
Leiterin der Fokusgruppe Marine Molekularökologie

Über die Grenzen der Nordsee hinaus finden unsere Protokolle Anwendung im Beagle-Kanal-Observatorium in Patagonien (DynAMo-Projekt, BMBF) sowie in der Zusammenarbeit mit unseren Kollegen von der Nelson-Mandela-Universität in Gquberha, der Partneruniversität der Universität Oldenburg. Hier wenden wir das eDNA-Metabarcoding an, um Lebensgemeinschaften in und über Stromatolithen-Pools entlang der südafrikanischen Küste zu identifizieren (von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt) und um Meeressäuger und Knorpelfische in MPAs vor Südafrika zu identifizieren – von Copepoden, Kammquallen, Islandmuscheln, Schlangensternen, Schollen, Pinguinen bis hin zum Weißen Hai birgt jede Probe neue Überraschungen.

Silke Laakmann, Alica Ohnesorge

Ohnesorge A, John U, Taudien S, Neuhaus S, Kuczynski L & Laakmann S. (2023). Capturing drifting species and molecules—Lessons learned from integrated approaches to assess marine metazoan diversity in highly dynamic waters. Environmental DNA.
doi:10.1002/edn3.478

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