Könnte eine probiotische ‚Impfung‘ tropische Korallen vor Umweltstress schützen?
Bereits seit den 80er Jahren beobachten Forscherinnen und Forscher großräumige Korallenbleichen, verursacht insbesondere durch den Klimawandel und die dadurch unaufhörlich steigenden Wassertemperaturen unserer Ozeane.
Korallen sind Nesseltiere, sehr „urtümliche“ Organismen, die in enger Symbiose mit einer besonderen Mikroalgenart zusammenleben. Diese Mikroalgen versorgen durch Photosynthese nicht nur sich selbst, sondern auch die Koralle mit Energie in Form von Zucker und erhalten im Gegenzug Nährstoffe, Spurenelemente und ein geschütztes Zuhause innerhalb des Korallengewebes. Wenn die Koralle Temperaturstress ausgesetzt ist, stößt sie ihre Symbionten ab, ist dann allerdings dem Verhungern ausgesetzt. Der Prozess der Korallenbleiche beginnt: Bunte und lebendige Riffe verwandeln sich oft innerhalb weniger Tage in tote Kalkskelette. Besonders eindringlich haben das die Jahre 2015 bis 2017 vor Augen geführt, in denen weltweit große Teile der Korallen ‚ausgeblichen‘ sind. Schon 2016 waren 50 bis 70 Prozent der Korallenriffe im Great Barrier Riff beschädigt, einige davon vermutlich irreparabel. Mancherorts haben Riffe sogar bis zu 98 Prozent ihrer Korallenpopulation verloren.
Schutzgebiete allein reichen nicht
Aus diesen Gründen ist es nicht ausreichend, Korallenriffe zu Schutzgebieten oder No-Take-Zonen zu erklären, denn wärmeres Ozeanwasser macht vor diesen Grenzen nicht halt. Es braucht also neue Ansätze, Korallen im Umgang mit dem Hitzestress stabiler zu machen und ihnen so Zeit zu verschaffen, bis der Mensch eine deutliche Reduktion des CO2-Ausstoßes und damit des Klimawandels erreicht.
Von der Humanmedizin inspiriert
Dr. Anna Roik ist seit März 2021 Postdoktorandin am HIFMB. Zuvor hat sie als Postdoktorandin am GEOMAR gemeinsam mit einem Team internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erprobt, inwiefern probiotische Bakterien Korallen helfen können, Hitzestress zu überstehen. Eine Strategie ist die sogenannte „Mikrobiom-Transplantation für Korallen“. Diese Methode ist inspiriert von innovativen mikrobiom-basierten Therapieformen, die seit einigen Jahren in der Humanmedizin Anwendung finden. Mikrobiomtranplantationen finden unter anderem bei diversen Störungen des menschlichen Verdauungstraktes Anwendung. So wird zum Beispiel die Darmflora eines gesunden Menschen auf einen symptomatischen Patienten übertragen und kann eine Linderungen der Beschwerden erreichen.
Korallen haben ein sehr komplexes Mikrobiom und es ist noch nicht ausreichend über die jeweiligen Funktionen einzelner Bakterien bekannt. Daher sind auch noch keine spezifischen probiotischen Bakterien – also Bakterien mit positiven Eigenschaften – identifiziert. Bei einer Mikrobiomtranplantation nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statt einzelner Bakterienarten ein komplettes Mikrobiom mit dem Ziel, dass Bakterien mit uns bisher unbekannten positiven Eigenschaften sich in den Empfänger-Korallen ansiedeln. Diese Methode bringt zudem den Vorteil, dass auch sogenannte “unkultivierbare” Bakterien des Mikrobioms – die sich also im Labor bisher nicht kultivieren lassen – übertragen werden können. Diese machen oft bis zu 98 Prozent der bakteriellen Diversität aus.
Weniger Bleiche mit Mikrobiom-Impfung
Durchgeführt wurden die Experimente in der thailändischen Andamanen See mit den riffbildenden Korallen Pocillopora und Porites.
Zunächst haben die Forscherinnen und Forscher stresstolerantere „Spender“-Korallen gesucht und aus deren Korallengewebe mit sterilem Meerwasser einen probiotischen Cocktail gemixt. Zu sich genommen haben die hitzeempfindlichen Korallen das Getränk allerdings nicht an der Strandbar, sondern in kleinen Inkubationskammern.
Die Empfängerkorallen beider Korallenarten bleichten anschließend im Vergleich zur Kontrollgruppe bei kurzzeitigem Hitzestress (34 °C) weniger stark aus. Die genetische Analyse der bakteriellen Zusammensetzung im Korallengewebe konnte Spender-spezifische Bakterien in den Empfängerkorallen nachweisen. Die meisten davon sind bereits bekannt, da es Varianten von Bakterienarten sind, welche die Mikrobiome vieler Korallenarten dominieren. Sie sind bisher noch zu wenig erforscht, jedoch wird für einige davon angenommen, dass sie funktionelle Rollen innehaben. Es könnte sein, dass die Spender-spezifischen Varianten dieser wichtigen Korallenmikrobiom-Bewohner es schaffen, der Koralle unter stressigen Bedingungen effizienter zu dienen.
Die Ergebnisse machen also Hoffnung. Welche genauen Wirkmechanismen hinter den Ergebnissen stecken und ob der positive Effekt von Dauer ist, muss in zusätzlichen Experimenten und Langzeitstudien weiter untersucht werden. In den kommenden drei Jahren wird unter anderem das der Forschungsschwerpunkt von Anna Roik am HIFMB sein.
Die Arbeit ist in der internationalen Fachzeitschrift Microbiome erschienen, hier geht’s zum Artikel.
https://doi.org/10.1186/s40168-021-01053-6